Wenn legendäre Bands schon so zahlreich ihre Aufwartung beim Jubiläums-WGT machen, darf eine Band, die ihren Nimbus schon im Namen trägt, nicht fehlen: Willkommen The Legendary Pink Dots! Eingebettet in den Verlauf einer Tour, die auch dazu dienen soll, den aktuellen Langspieler Pages Of Aquarius (Metropolis/Soulfood, ab Freitag) zu präsentieren, wird die niederländisch-britische Kultband das Auditorium des Schauspielhauses erfreuen, voraussichtlich am Sonntagabend. Am Pfingstmontag geht es dann weiter nach Köln, wo die faszinierenden Querdenker im MTC gastieren werden. Im Voraus gewährte Frontmann Edward Ka-Spel Einblicke in die Hintergründe einer der latent bedeutsamsten Formationen der Szene.
amusio: „Hi Edward, Du wohnst schon seit geraumer Zeit in London. Was hat dich dazu bewegt, die beschaulichen Niederlande zu verlassen?“
Edward Ka-Spel: „Meine Mutter ist 2010 verstorben und hat mir das Haus vererbt, in dem ich nun mit meiner Frau und unserer kleinen Tochter lebe. Meine Mutter war damals das Einzige, was mich noch mit England verband. Aber dann dachten wir, dass wir es einfach mal versuchen sollten, trotz des fiesen Wetters hier. Aber die Zeit in Nijmegen und später in Süd-Limburg bleibt unvergessen. Ich fahre immer wieder mal hin, allein schon weil der Rest der Band dort verblieben ist.“
amusio: „Zunächst wollten wir nur über das neue Album Pages Of Aquarius sowie die Tour sprechen, die euch unter anderem auch nach Köln führen wird. Doch nun ist auch noch das WGT hinzugekommen…“
Edward Ka-Spel: „Unsere Teilnahme am WGT war zunächst gar nicht geplant. Schließlich läuft unsere Tour ja quasi zeitgleich. Doch dann hatte eine andere Band ihren Gig auf dem WGT abgesagt. So erging die Frage an uns, ob wir das vielleicht doch noch hinbekommen könnten. Und siehe da: Es passte perfekt! Den Sonntag hatten wir noch frei, am Montag geht es dann weiter nach Köln.“
amusio: „Werden sich eure Auftritte zwischen dem WGT und der regulären Tour gravierend unterscheiden? Etwa hinsichtlich des Repertoires oder auch der Dauer, zumal ihr ja für ausgesprochen extensive Gigs bekannt seid?“
Edward Ka-Spel: „Wir sind mit einem komplett neuen Set unterwegs, das wurde ja auch mal Zeit. Eine speziell fürs WGT modifizierte Show wird es nicht geben. Wenn man es uns gestattet, sprengen wir in Leipzig gerne den üblichen Zeitrahmen eines Festivalkonzerts.“
amusio: „Was denkst du generell über das WGT?“
Edward Ka-Spel: „Ich finde es phantastisch, wie sich die Leute dort ihr eigenes Universum kreieren. Wir haben ja schon einige Male dort gespielt. Und ich hege da nur die besten Erinnerungen. Mal abgesehen von jemandem, der bei unserem Konzert eine belgische Fahne schwenkte. Das fand ich befremdlich (lacht). Im Ernst, die Leute sind dort sehr aufmerksam und schätzen ihre Künstler. Auf dem WGT wird zugehört, das ist mir das Wichtigste.“
amusio: „In den vergangenen Jahren huldigten eure Alben ziemlich ungehemmt der Abstraktion. Pages Of Aquarius scheint hingegen sehr fokussiert zu sein…“
Edward Ka-Spel: „Ja, das ungehemmt Experimentelle haben wir auf dem neuen Album gegen enthemmte Intensität eingetauscht. Auf Pages Of Aquarius ist nicht ein einziger Ton dem Zufall überlassen worden. Jedes Detail wurde sehr bewusst gewählt und gesetzt. Ich finde, es ist ein ausgesprochen kurzweiliges Album geworden. Die Reise scheint schneller vorbei zu sein, als die Laufzeit von einer Stunde suggeriert.“
amusio: „Von der Improvisation habt ihr also Abstand genommen?“
Edward Ka-Spel: „Nein, Improvisation ist stets vorhanden, aber wir haben das Material anschließend mit größter Sorgfalt editiert. Nimm mal den Song Greatest Story Ever Told. Dessen erste Hälfte ist komplett improvisiert. Aber es war uns wichtig, nie den Song aus den Augen zu verlieren.“
amusio: „Erinnerst du dich eigentlich an alle deine Releases?“
Edward Ka-Spel: „Ich denke schon, sie sind ja ein wesentlicher Teil von mir. Aber ich habe aufgehört, die Alben zu zählen. Ich erinnere mich besser anhand der einzelnen Songs, die kann ich zeitlich recht exakt einordnen. Auch wenn ich mich nicht auf Anhieb an sämtliche Texte erinnere, die in den Achtzigern oder Neunzigern bei irgendwelchen obskuren Sessions entstanden sind.“
amusio: „Nach wie vor scheinen eure Pop Noir-Songs, wie sie etwa das Album Any Day Now auszeichnen, beim Publikum besonders beliebt zu sein…“
Edward Ka-Spel: „Wenn wir Any Day Now heute aufgenommen hätten, wäre Pages Of Aquarius dabei herausgekommen.“
amusio: „Stimmt, das neue Album trägt diese gewisse Atmosphäre von einem Song wie Waiting For The Cloud in sich.“
Edward Ka-Spel: „Genau! Aber wir haben die wirklich abgefahrenen Sachen längst nicht ad acta gelegt. Warte mal die nächsten Veröffentlichungen ab (lacht). Es wird auch ein Konzeptalbum mit Amanda Palmer von den Dresden Dolls geben. Und auch ein neues Tear Garden Album ist in der Mache. cEvin Key und ich sind schon ganz fleißig dabei, fünf Songs haben wir bereits fix.“
amusio: „Warum bist du so kreativ?“
Edward Ka-Spel: „Weil die Musik in mir einfach geschieht. Und dies tagtäglich. Früher oder später ergeben sich dann auch die entsprechenden Projekte. Zugegeben, mein Drang zum kreativen Ausdruck ist schon immens. Und er hat mich bis heute auch noch nie verlassen. Ich kann und will das nicht ändern, auch wenn ich letztlich doch ziemlich besessen bin.“
amusio: „Besessen von der Musik, doch als Mensch scheinst du eher der besonnene Typ zu sein, oder?“
Edward Ka-Spel: „Stimmt, die Besessenheit bezieht sich nur auf die Musik. Meine Persönlichkeit sollte ihr dabei nicht im Weg stehen.“
amusio: „Inwiefern beeinflusst deine räumliche Trennung zu den anderen Legendary Pink Dots euer Schaffen?“
Edward Ka-Spel: „Sie äußert sich anhand eines konzentrierteren und wesentlich disziplinierteren Arbeitens. Früher spielten wir nach Lust und Laune munter drauflos, denn wir hatten ja täglich die Gelegenheit dazu. Wir haben uns oft treiben lassen, waren manchmal sogar eine Spur zu lässig. Heute beherzigen wir einen anderen workflow, da wir die Notwendigkeit erkannt und anerkannt haben, die Gelegenheiten zum gemeinsamen Musizieren zu einhundert Prozent auszunutzen. Faul waren wir noch nie. Aber dass wir nun so großen Wert auf Disziplin legen, wundert uns manchmal selbst ein wenig.“
amusio: „Diese Diszipliniertheit ist Pages Of Aquarius anzuhören…“
Edward Ka-Spel: „Wir lieben es zu sehen, wie sich Disziplin auszahlt.“
amusio: „Kommen wir kurz auf das inhaltliche Konzept des Albums zu sprechen. Es handelt offensichtlich von der bevorstehenden Zeitenwende…“
Edward Ka-Spel: „Die Hinwendung zum Optimismus des neuen Wassermann-Zeitalters hat ja bereits vor über vierzig Jahren eingesetzt. Die alten Hippies haben ausgedient. Nackt im Mondenschein zu tanzen, hat sich nicht als Erlösung erwiesen. Aber der Spirit ist geblieben. Und wird sich nach und nach durchsetzen. Die Welt ist schön, das Leben ist schön! Noch liegen, bildhaft gesprochen, die gestrandeten Fischkadaver herum und stinken vor sich hin. Aber bald werden sie vollständig verwest sein. Alles wird gut! Darum endet das Album mit großer Zuversicht und Hoffnung, auch wenn auf ihm noch jede Menge Dunkelheit vorhanden ist.“
amusio: „Und mit Mirror Mirror eine packende Eröffnung. Wer scheut denn da den Blick in den Spiegel?“
Edward Ka-Spel: „Das bin tatsächlich ich. Ich kann mein Spiegelbild einfach nicht ertragen! Höchstens von der Seite, etwa auf dem Weg an einem Schaufenster entlang (lacht).“
amusio: „Aber sich zum Blickfang der Show zu machen, das liegt dir schon, oder? Ich erinnere mich da zum Beispiel an ein Konzert im Kölner Luxor, im Vorprogramm von Skinny Puppy…“
Edward Ka-Spel: „Oh ja, da habe ich zum Ende hin meine Disks durch die Gegend geworfen. Ich war emotional sehr aufgekratzt, das war aber eine Ausnahme. Das Showelement stelle ich inzwischen etwas zurück, denn, wie gesagt, alles hat der Musik zu dienen und sich den Songs unterzuordnen.“
amusio: „Woher nimmst die Motivation?“
Edward Ka-Spel: „Sie entspringt dem Wissen, dass nichts von alleine kommt. Dass man im Leben für gewöhnlich nichts geschenkt bekommt. Man muss seine Position im Leben selbst definieren. Keine Zeitvergeudung zulassen. Letztlich zielt die Frage nach der Motivation nach der Identifikation: Ich mache das, was ich tun muss.“
amusio: „Und dabei schreibt dir niemand etwas vor?“
Edward Ka-Spel: „Doch, mein Spiegelbild (lacht).“
amusio: „Oder die Erwartungen des Publikums?“
Edward Ka-Spel: „Unser Publikum erwartet, dass wir keine Erwartungen erfüllen. Und das schon seit über 35 Jahren.“
English:
INTERVIEW WITH EDWARD KA-SPEL (THE LEGENDARY PINK DOTS)
With so many legendary bands making their appearance at the anniversary WGT, one band that already bears their nimbus in their name should not be missing: Welcome The Legendary Pink Dots! Part of a tour that will also serve to present current full – length Pages Of Aquarius (Metropolis/Soulfood, out Friday), the Dutch-British cult band will delight the Schauspielhaus auditorium, probably on Sunday evening. On Whit Monday we will then continue to Cologne, where the fascinating lateral thinkers will be guests at the MTC. In advance, frontman Edward Ka-Spel provided insights into the background of one of the scene’s latently most significant formations.
amusio: “Hi Edward, you have been living in London for quite some time. What made you leave the tranquil Netherlands?”
Edward Ka-Spel: “My mother passed away in 2010 and left me the house where I now live with my wife and our little daughter. Back then, my mother was the only thing that connected me to England. But then we thought we should just give it a try, despite the nasty weather here. But the time in Nijmegen and later in South Limburg will not be forgotten. I keep going there, if only because the rest of the band stayed there.”
amusio: “First of all, we just wanted to talk about the new album Pages Of Aquarius and the tour, which will also take you to Cologne, among other places. But now the WGT has also been added…”
Edward Ka-Spel: “Our participation in the WGT was not originally planned. After all, our tour is running at almost the same time. But then another band canceled their gig at the WGT. So we were asked if we could still manage it. Lo and behold: it fit perfectly! We still had Sunday off, on Monday we will continue to Cologne.”
amusio: “Will your performances differ significantly between the WGT and the regular tour? Regarding the repertoire or the duration, especially since you are known for extremely extensive gigs?”
Edward Ka-Spel: “We’re on the road with a completely new set, it’s about time. There will be no show specially modified for the WGT. If we are allowed, we are happy to go beyond the usual time frame of a festival concert in Leipzig.”
amusio: “What do you think about the WGT in general?”
Edward Ka-Spel: “I think it’s fantastic how the people there create their own universe. We’ve played there a few times. And I only have the best memories there. Except for someone who waved a Belgian flag at our concert. I found that strange (laughs). Seriously, the people there are very attentive and appreciate their artists. People listen at the WGT, that’s the most important thing for me.”
amusio: “In recent years your albums have paid homage to abstraction quite uninhibitedly. Pages Of Aquarius , on the other hand, seems very focused…”
Edward Ka-Spel: “Yes, on the new album we exchanged the uninhibited experimental elements for uninhibited intensity. Not a single note has been left to chance on Pages Of Aquarius . Every detail was chosen and placed very consciously. I think it turned out to be a very entertaining album. The journey seems to be over faster than the one-hour running time suggests.”
amusio: “So you refrained from improvising?”
Edward Ka-Spel: “No, improvisation is always present, but we then edited the material with great care. Take the song Greatest Story Ever Told . The first half is completely improvised. But it was important to us never to lose sight of the song.”
amusio: “Do you actually remember all your releases?”
Edward Ka-Spel: “I think so, they are an essential part of me. But I stopped counting the albums. I remember better based on the individual songs, I can chronologically arrange them quite precisely. Even if I don’t immediately remember all the lyrics that were created in some obscure sessions in the 80s or 90s.”
amusio: “Your pop noir songs, such as those featured on the album Any Day Now , still seem to be particularly popular with the public…”
Edward Ka-Spel: “If we had recorded Any Day Now today, Pages Of Aquarius would have come out of it.”
amusio: “That’s right, the new album has that certain atmosphere of a song like Waiting For The Cloud .”
Edward Ka-Spel: Exactly! But we haven’t put the really wacky things away for a long time. Wait for the next releases (laughs). There will also be a concept album starring Amanda Palmer from the Dresden Dolls. And a new Tear Garden album is also in the works. cEvin Key and I have been very busy, we already have five songs fixed.”
amusio: “Why are you so creative?”
Edward Ka-Spel: “Because the music just happens in me. And this every day. Sooner or later the corresponding projects will arise. Admittedly, my urge for creative expression is immense. And to this day he has never left me. I can’t and won’t change that, even though I’m pretty obsessed in the end.”
amusio: “Obsessed with music, but as a person you seem to be the level-headed type, don’t you?”
Edward Ka-Spel: “Yes, the obsession only relates to the music. My personality shouldn’t get in her way.”
amusio: “To what extent does your spatial separation from the other Legendary Pink Dots influence your work?”
Edward Ka-Spel: “It manifests itself in a more concentrated and much more disciplined way of working. We used to play whenever we felt like it because we had the opportunity to do so every day. We often let ourselves drift, sometimes even being a little too casual. Today we follow a different workflow, as we have recognized and acknowledged the need to make 100% use of opportunities to make music together. We’ve never been lazy. But the fact that we now attach so much importance to discipline sometimes surprises us a little.”
amusio: “This discipline is to listen to Pages Of Aquarius …”
Edward Ka-Spel: “We love to see discipline pay off.”
amusio: “Let’s talk briefly about the content of the album. It’s obviously about the coming turning point…”
Edward Ka-Spel: “The turn to the optimism of the new Age of Aquarius began more than forty years ago. The old hippies have had their day. Dancing naked in the moonlight hasn’t proven to be a salvation. But the spirit stayed. And will gradually prevail. The world is beautiful, life is beautiful! Figuratively speaking, the stranded fish carcasses are still lying around and stinking to themselves. But soon they will be completely decomposed. Everything will be fine! That’s why the album ends with great confidence and hope, even if there’s still a lot of darkness left on it.”
amusio: “And with Mirror Mirror a thrilling opening. Who is afraid of looking in the mirror?”
Edward Ka-Spel: “That’s actually me. I just can’t stand my reflection in the mirror! At most from the side, for example on the way along a shop window (laughs).”
amusio: “But making yourself the eye-catcher of the show is something for you, isn’t it? I remember, for example, a concert at the Luxor in Cologne, supporting Skinny Puppy…”
Edward Ka-Spel: “Oh yeah, I threw my discs around towards the end. I was very emotional emotionally, but this was an exception. In the meantime, I’m putting the show element back a bit, because, as I said, everything has to serve the music and be subordinate to the songs.”
amusio: “Where do you get the motivation from?”
Edward Ka-Spel: “It springs from the knowledge that nothing comes by itself. That nothing in life is usually given for free. You have to define your position in life yourself. Don’t allow time to be wasted. Ultimately, the question of motivation is aimed at identification: I do what I have to do.”
amusio: “And no one tells you anything?”
Edward Ka-Spel: “Yes, my reflection (laughs).”
amusio: “Or the expectations of the audience?”
Edward Ka-Spel: “Our audience expects us not to live up to expectations. And that for more than 35 years.”